In einem grünen Park im Zentrum von Fernitz steht der kleine runde Eispavillon von Klaus Purkarthofer. Naschkatzen können hier aus 30 verschiedenen Eissorten wählen. Doch hinter dem Tresen läuft vieles ganz anders ab. Besitzer Klaus Purkarthofer ließ seine Angestellten nicht nur ihr eigenes Gehalt bestimmen, sondern auch, wie viel er selbst verdienen soll. Eines wird im Gespräch mit dem 41-Jährigen deutlich: Nicht nur die Gehälter, sondern auch die Aufgabenverteilung und die Hierarchien wurden bei diesem Prozess völlig anders zusammengesetzt.

Portrait Klaus Purkarthofer mit Eis
Klaus Purkarthofer hat es sich zum Ziel gesetzt, sein Unternehmen, die Eisdiele in Fernitz, anders zu führen.
Angelika Mende

Die Eltern des gelernten Konditormeisters führten ein Café in Fernitz. Dieses übernahm er vor vielen Jahren. Doch es lief nicht mehr so gut, und er merkte, es müsste sich auch grundlegend etwas verändern. So entschloss er sich 2019 dazu, die Konditorei zu schließen und stattdessen eine Eisdiele zu eröffnen. Ein Teil des Personals musste gekündigt werden, da für die Eismanufaktur nicht mehr so viele Leute gebraucht wurden. Sechs seiner damaligen Angestellten wurden von der neuen Firma übernommen.

"Zu dieser Zeit habe ich mich immer mehr mit der Klimakrise, Lieferketten und dem Gender-Pay-Gap befasst. Ich fragte mich auch: Welche Werte möchte ich in meinem Unternehmen vertreten und leben? Was möchte ich zu einer besseren Welt beitragen?", erzählt Purkarthofer. Er wollte sich nur noch auf die Eisproduktion konzentrieren und sein neues Unternehmen völlig neu aufstellen. Das Eis wird für den eigenen Pavillon in Fernitz produziert, doch er beliefert auch weitere Abnehmer.

Von Großzügigkeit zur Fairness

"Eis ist portionsweise Freude", sagt der 41-Jährige. Deshalb war für ihn schnell klar, dass er eine Eisdiele aufmachen wollte. Die Pandemie kam für ihn zu einem geeigneten Zeitpunkt. Das gab ihm genügend Zeit, den Organisationsentwicklungsprozess in Ruhe zu überlegen. Im Frühjahr 2022 haben er und das gesamte Team mit dem Umstrukturierungsprozess begonnen. Im Sommer 2023 war dann die erste große Phase abgeschlossen. Insgesamt 22 Sitzungen zu je ein bis zwei Stunden wurden dafür benötigt.

Die Ziele: Transparenz, ein von Hierarchie befreites Unternehmen und Nachhaltigkeit auf allen Ebenen. "Es geht schon um Profit. Aber auch darum, wofür man die Gewinne nutzt", meint der Eissalonbetreiber. Die bisher generierten Einkünfte flossen hauptsächlich in den Organisationsentwicklungsprozess. Wozu die späteren Einnahmen dienen sollen, werde dann wieder neu beschlossen, sagt Purkarthofer.

"In meiner Zeit als Manager des Cafés wurde meine Großzügigkeit teils auch ausgenutzt, und ich hatte Probleme mit der Verhältnismäßigkeit den anderen Angestellten gegenüber. In diesem Zuge habe ich gelernt, dass Großzügigkeit nichts mit Fairness zu tun hat", erklärt er.

Gemeinsam das Gehalt aushandeln

Deswegen war für ihn klar, auch die Gehaltsstrukturen neu sortieren zu wollen. Er überließ den Angestellten die Entscheidung, ob sie ihr Gehalt offenlegen wollten, erzählt Purkarthofer. Für alle verpflichtend war allerdings, dass jede und jeder sich selbst pitchen sollte: Wer bin ich, was kann ich, was will ich, welche Ausbildungen und Hobbys habe ich, welches Arbeitsmodell stelle ich mir vor und welchen Lohn würde ich mir dafür zahlen.

Dann kam es zum Realitätscheck. Die anderen im Team mussten der Person rückmelden, wo sie die Stärken der Person sehen. "Das war eine überraschend wertschätzende und intime Diskussion. Andererseits ist das auch verständlich, denn niemand will die Kolleginnen und Kollegen vor den anderen diffamieren." Die gewünschten Summen lagen erstaunlicherweise nicht weit voneinander entfernt. Nur wenige wurden nach oben oder nach unten korrigiert – ebenfalls durch eine gemeinsame Konsensentscheidung.

Die neuen Gehälter lagen leicht über dem vorherigen Lohnniveau. "Aber alle wussten auch, dass das bedeutet, mehr einzunehmen – da ja alle die Geschäftszahlen kannten", sagt Klaus Purkarthofer. Nun stand auch noch sein eigenes Gehalt auf der Tagesordnung. Auch das wurde von den Mitarbeitenden entschieden. Er hielt sich dabei zurück. Das Ergebnis war, dass sein Gehalt nun zweieinhalbfach so hoch ist wie jenes der am besten verdienenden Person im Unternehmen. Eine genauere Angabe möchte er nicht machen. Es wurde ebenfalls festgelegt, dass die Löhne einmal im Jahr neu verhandelt werden können.

Aufgaben neu verteilt

Selbstverständlich hängt das Gehalt auch mit den Aufgaben zusammen, die die Person übernimmt. Im Laufe des Organisationsentwicklungsprozesses stellte sich heraus, dass die Mitarbeitenden gern auch mehr eingebunden werden wollen, Verantwortung in bestimmten Bereichen übernehmen und vielleicht nicht nur immer in ihrem bisher sehr abgegrenzten Arbeitsspektrum arbeiten möchten. Die einzelnen Themen wie Verkauf, Logistik, Verwaltung etc. wurden daraufhin in Teams aufgeteilt, und jede und jeder kann bei diesen andocken.

Klaus Purkarthofer vor dem Eispavillion.
Seine Mitarbeitenden sind nicht nur im Sommer angestellt, sondern das gesamte Jahr.
Angelika Mende

Die Kerntätigkeiten bleiben allerdings bestehen. Dafür gibt es jeweils zwei ausgebildete Personen, damit der Druck nicht nur auf einer lastet. "Die Aufgaben wurden dadurch diverser und abwechslungsreicher", sagt der 41-Jährige. Es sei auch leichter, verschiedene Arbeitsmodelle immer wieder anzupassen – je nach Dringlichkeit oder Lebenssituation. "Ich merkte: Menschen wollen teilhaben. Klar, manche weniger, manche mehr. Aber alle wertschätzen Teilhabe", so Klaus Purkarthofer.

Im Sommer läuft das Geschäft auf Hochtouren. Doch was passiert im Winter? "Bei uns sind alle ganzjährig angestellt. Neben Selbstermächtigung zu ermöglichen finde ich Sicherheit für die Angestellten und für mich eines der wichtigsten Aufgaben eines Unternehmens", so Purkarthofer. Dadurch zahle er zwar momentan noch drauf, aber das solle sich bald ändern. Im vergangenen Winter überlegten sie sich saisonale Konzepte, wie Punsch und Waffeln zu verkaufen. Auch am Marketing arbeiteten sie in den kalten Monaten. Wie die Produkte und Lieferketten neu gedacht werden können, steht ebenfalls in der eisfreien Zeit an.

Ein passendes Team

"Ich denke, um Mitarbeitende möglichst lange im Unternehmen zu halten, ist zukünftig eine starke Individualisierung der Arbeitsmodelle nötig", prognostiziert er. Dazu zählen unterschiedliche Arbeitsstunden, Vergütungsmodelle, Einteilung der Urlaube und vieles mehr. Eine Person in seinem Team wollte sich in eine ganz neue Richtung entwickeln, und deswegen wurde ein neues Tätigkeitsprofil geschaffen.

Doch funktioniert so ein umfangreicher und teambasierter Organisationsentwicklungsprozess mit jedem Team? "Ich stelle Personen danach ein, ob sie zu unserer Unternehmenskultur passen. Alles andere kann man lernen", sagt der Chef. Momentan arbeiten acht bis zehn Personen in seinem Team. Sie sind zwischen 20 und 45 Jahren alt. Es sei auch viel Beziehungsarbeit gewesen, um zu dieser Aufgabenverteilung zu gelangen.

Und die Rolle des Chefs ist abgeschafft? Was hat sich für ihn geändert? "Ich mache fast gar nichts mehr allein", sagt Purkarthofer. "Ich gebe Sicherheit und sorge mit meinen Fragen für Irritation. Das unternehmerische Risiko und die Hauptverantwortung liegen immer noch bei mir. Ich bin auch für die Vision zuständig und fungiere als Sprachrohr für die Firma." Hierarchieabbau bedeute nicht, so der Manager, dass es keine Autoritäten mehr gebe, sondern, dass alle im Unternehmen Führungsskills erlernten: "Ich ging von der Führung in die Begleitung."

Inspiration aus Brasilien

Bei der Neuausrichtung holte er sich nicht nur Hilfe von Beratungsunternehmen und Coaches, sondern tauchte auch selbst tief in verschiedene Konzepte von Neuausrichtungen ein. Eine große Inspiration waren ihm beispielsweise die Bücher des Brasilianers Ricardo Semler, der über die Veränderungen seines Maschinenbau-Unternehmens Semco in den 1980er-Jahren berichtet.

Darin wird beschrieben, wie er das Managementsystem demokratisierte und die Unternehmensstruktur veränderte – von der Führung bis zur Produktion. Aufgrund dessen ist Purkarthofer überzeugt, dass auch in größeren Unternehmen demokratisch verhandelte Gehaltsschemata und Organisationsstrukturen möglich sind. Eines ist für ihn allerdings die Grundvoraussetzung: "Für eine neue Arbeitskultur offen zu sein bedeutet, sich laufend und absichtlich immer wieder irritieren zu lassen." (Natascha Ickert, 29.4.2024)